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„Das Leid war notwendig, um mein Bewusstsein zu verändern“

Horst Steffen hat eine Karriere mit einigen schwierigen Verletzungen erlebt – bis er auf einen Osteopathen traf. Heute versucht er, als Trainer von Werder Bremen das Beste aus seiner aktiven Zeit mitzunehmen – und den Klub wieder auf Erfolg zu trimmen.

Werder Bremen will seine gute Serie mit zuletzt fünf Spielen in Serie ohne Niederlage auch beim Wiedersehen mit Ex-Coach Ole Werner fortsetzen. „Das Ziel ist es, genau so weiterzumachen wie zuvor“, sagte Bremens Trainer Horst Steffen über die erfolgreiche Phase vor der Länderspielpause. Die Partie bei RB Leipzig steht an diesem Sonntagnachmittag an, (15.30 Uhr, im Sport-Ticker der WELT). Vor dem Duell erläutert der 56 Jahre alte Steffen, was ihm besonders wichtig ist.

Frage: Herr Steffen, wer Ihnen begegnet, dem springt meist ein Lächeln entgegen. Wie kommt’s?

Horst Steffen: Ich nehme es mir nicht vor. Es kommt von innen. Ich bin dankbar für viele Dinge. Wahrscheinlich strahle ich das aus. Ich kann mit dem, was ich am liebsten tue, Geld verdienen. Aber eigentlich sind am Lächeln meine Eltern schuld.

Frage: Wie meinen Sie das?

Steffen: Ich bin das jüngste von vier Kindern, habe zu Hause immer viel Vertrauen und Miteinander gespürt. Bescheidenheit und Höflichkeit wurden mir beigebracht. Neben diesem Grundgefühl kommen mittlerweile eben auch meine Erfahrungen hinzu. Meine Leidensgeschichte als Fußballer hat mein Leben verändert.

Frage: Sie mussten mit 34 Jahren ihre Bundesliga-Karriere wegen eines Hüftschadens beenden. Inwiefern hat Sie das geprägt?

Steffen: Ich war als Spieler überehrgeizig und habe meinen Körper häufig regelrecht überfordert. Ich war zu ungeduldig und habe mir damit ziemlich viel verbaut. Aber das Leid war notwendig, um mein Bewusstsein unter anderem zu verändern, mich auch mit alternativer Medizin zu beschäftigen. Ich sollte irgendwann zum sechsten Mal operiert werden. Dann zeigte mir ein Osteopath, wie der Mensch miteinander verbunden ist, das System zusammenhängt. Drei Wochen später stand ich dank ihm wieder auf dem Platz. So wurde mir klar, dass viel mehr existiert als das, was ich vorher als wissenschaftlich angesehen habe.

Frage: Womit beschäftigen Sie sich?

Steffen: Ich war und bin auf der Suche nach Neuem, nach Weiterentwicklung in der Persönlichkeit. Vor einiger Zeit habe ich den Neurobiologen Gerald Hüther kennengelernt. Bei ihm hatte ich ein Aha-Erlebnis. Er hat vieles erklärt, was ich für meine Arbeit mit den Spielern verwenden kann. Nehmen wir das Thema Miteinander. Vernetzungen im Gehirn entstehen dann, wenn sich die Atmosphäre gut anfühlt, die Aufgaben und Herausforderungen passend sind. Die Stimmung in einer Gemeinschaft ist wichtig. Meine Spieler sind keine Nummern, keine Objekte, sondern Subjekte.

Frage: Wie viel Zeit nehmen Sie sich für sich selbst?

Steffen: Ich versuche, morgens und abends 20 Minuten zu meditieren. Und ich führe ein Dankbarkeitsbuch, in dem ich Dinge notiere, für die ich eben dankbar bin. Ich habe es vor drei, vier Jahren von meinen Kindern bekommen. Es hat viel in mir bewegt. Und vor dem Zu-Bett-Gehen gebe ich mir ein zehnminütiges Feedback, indem ich mich sammle und schaue, was mir am Tag gutgetan und gefallen hat und was nicht.

Frage: Was gibt Ihnen Meditation?

Steffen: Ich habe eine Technik gelernt, bei der man ganz bei sich ist. Manchmal geht es einfach darum, seinen Atem, seinen Körper zu spüren. Durch die verschiedenen Meditationen entstehen bei mir Zufriedenheit und innere Ruhe. Vielleicht rührt daher auch das Lächeln …

Frage: Sie sind also mit sich im Reinen?

Steffen: Ja, und das ist doch der erste Auftrag. Schon in der Schule sollte er angegangen werden. Weniger Wissensanhäufung, mehr „sich und einander guttun“. Das wäre ein gutes Fach.

Frage: Gibt es Menschen, die Sie inspirieren?

Steffen: Ich bewundere Menschen, die sich für andere aufopfern. Nelson Mandelas Geschichte war für mich prägend. Wie kann man so friedlich, verzeihend und vereinend sein, nachdem man so lange im Gefängnis sein musste? Es gibt aber auch jemanden in der Bundesliga, der mich beeindruckt.

Frage: Wer ist das?

Steffen: Vincent Kompany strahlt in einem sehr schwierigen Umfeld eine unglaubliche Ruhe aus. Die Leistungssteigerung der Bayern ist sicher auf ihn, seine Führungsqualität und seine Ausstrahlung zurückzuführen. Ihm geht es nicht um sich. Er nimmt sich nicht zu wichtig. Er ist ein Vorbild für mich.

Frage: Was können Ihre Spieler mit Ihren Gedanken anfangen?

Steffen: In erster Linie wollen sie hören, wie sie das nächste Spiel gewinnen. Das ist mein erster Auftrag. Aber bislang hat sich keiner beschwert.

Frage: Sie haben letzte Saison mit dem kleinen Elversberg haarscharf den Aufstieg in die erste Liga verpasst. Wie schwierig ist es, nun Bundesliga-Stars zu führen?

Steffen: Es ist nicht schwieriger. Ich habe im Verein Menschen um mich herum, denen es auch wichtig ist, dass ich meine Werte an die Spieler transportiere. Es geht bei uns nicht nur ums Ergebnis, sondern auch um den Umgang, das Miteinander. Die Unterstützung spüre ich.

Frage: Früher galt Erfahrung als unabdingbar, heute werden Trainer immer jünger. Sie sind mit 56 der älteste Trainer der Bundesliga. Irritiert Sie das?

Steffen: Ich bin einfach froh, dass Werder mich verpflichtet hat und ich Bundesliga-Trainer sein darf. Das Kind und meine Neugierde leben noch genauso wie vor 30 Jahren in mir. Alter ist für mich tatsächlich nur eine Zahl.

Frage: Wirklich kein Problem mit dem Altern?

Steffen: Ich gebe zu: Ich vermisse es manchmal, Dinge zu tun, die wegen meiner Hüfte und meinem Knie nicht mehr gehen. So einen Außenristpass oder einen schönen Flugball würde ich gerne mal wieder spielen. (lacht)

Frage: Ihnen wird ein extrem gutes Händchen im Umgang mit Spielern zugeschrieben. Prominentestes Beispiel: Nick Woltemade, den Sie in Elversberg weiterentwickelten. Hat er das Zeug zur Weltspitze?

Steffen: Da ist er schon. Was ich toll finde: Er hat sich durch den Erfolg nicht verändert. Da ist er ein absolutes Vorbild für junge Spieler. Wenn er so natürlich bleibt und sich weiter sportlich entwickelt, kann ich ihm nur gratulieren.

Frage: Haben Sie noch Kontakt?

Steffen: Ja, ich schreibe ihm ab und zu, wenn er ein schönes Tor erzielt oder was Tolles erreicht hat. Zuletzt nach seinen Toren für Deutschland.

Frage: Die Ergebnisse bei Werder stimmten zuletzt, bei den Leistungen gab es aber noch Luft nach oben. Wann sehen die Werder-Fans den herrlichen Fußball aus Elversberg?

Steffen: Das Niveau in der Bundesliga ist ein anderes. Manche Gegner lassen es gar nicht zu, dass wir gut sind. Trotzdem sehe ich viele positive Ansätze. Ich habe natürlich den Wunsch, dass es leichter und lockerer aussieht. Vielleicht sind die Erwartungen aber auch ein bisschen zu hoch.

Frage: Haben Sie einen Glücksbringer?

Steffen: Meine Frau hat mir ein Glücksschwein geschenkt. Es ist immer in meinem Rucksack. Am liebsten ist mir natürlich, wenn sie selbst live im Stadion ist und beim Tor-Jubel vor Freude hüpft und den Schal schwingt. Ich suche immer als Erstes den Blickkontakt zu ihr.

Frage: Wie lange wollen Sie noch als Trainer arbeiten?

Steffen: Es kommt bestimmt der Moment, an dem ich sage: Ich habe keine Lust mehr, bei minus drei Grad auf dem Trainingsplatz zu stehen. (lacht) Dieser Zeitpunkt ist aber noch lange nicht gekommen.

Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.

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